Gesinnungsethik vs. Verantwortungsethik

  • Personalitätsprinzip
  • Subsidiaritätsprinzip
  • Solidaritätsprinzip

Hier soll kurz auf diese Grundsätze und ihren vermutlichen Ursprung eingegangen werden.

Das Personalitätsprinzip stellt den Menschen in den Mittelpunkt und leitet dessen jeweilige Einzigartigkeit und Würde von seiner „Gottesebenbildlichkeit“ ab. Das ist leicht gesagt, doch setzt nicht diese Behauptung einen anthropomorphen Gottesbegriff, d.h. das Wörtlichnehmen von Genesis 1:26 voraus? Woher wird die Menschenwürde tatsächlich abgeleitet?
Vielleicht vom Begriff des allmächtigen Vatergottes aus dem Glaubensbekenntnis:
Ich glaube an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, der alles geschaffen hat, Himmel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt?
Oder von der engen Beziehung von Jesus zu seinem Vater:
Er sprach: Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht, was ich will, sondern was du willst (soll geschehen). (Mk 14,36) oder
Jesus rief laut: Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.( Lk 23,46),
Ist ein gütiger, liebender Vatergott vorauszusetzen, dem der Mensch ebenbildlich sei?
Einfacher wäre es, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (UNO 1948) heranzuziehen:
Artikel 1
Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft
und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.
Artikel 2
Jeder hat Anspruch auf alle in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne
irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion,
politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen,
Geburt oder sonstigem Stand.

Fazit: Menschenwürde, freier Wille, persönliche Freiheit, grundsätzliche Gleichheit aller Menschen und das Recht zur Selbstentfaltung leiten sich eher aus einem Gesamtverständnis der Lehre Christi als aus dem Begriff der Gottesebenbildlichkeit ab, da es aus der Natur des Gottesbegriffes heraus nicht möglich ist, sich ein Bild von Gott zu machen. Wie für alle Grundsätze der katholischen Soziallehre gilt auch für das Personalitätsprinzip: seine Gültigkeit ergibt sich schon aus der Vernunft und einer reflektierten Einsicht in den gesellschaftlichen Prozesse.
… Seit 1811 heißt es im § 16 ABGB: “Jeder Mensch hat angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte und ist als eine Person zu betrachten.”

Das Subsidiaritätsprinzip drückt das Recht und die Pflicht der einzelnen Person und der je kleineren Gemeinschaft aus, den jeweiligen Beitrag am Gemeinwohl eigenverantwortlich zu leisten, den sie bewältigen kann. So kann beispielsweise der Beitrag Kindererziehung effizienter von der kleineren Gemeinschaft Familie besorgt werden, als etwa von der größeren Gemeinschaft Staat.
Frage: Ist dies in jeder Hinsicht gültig? Ist die international übliche Ganztagsschule tatsächlich ein gesellschaftlicher Irrweg?

Grundsätzlich kann die hier verlangte gesellschaftliche Tendenz nur begrüßt werden. Siehe etwa:
Franz Ernst Friedrich Schuhmachers „Small is Beautiful“ oder die Thesen von Leopold Kohr:
Der österreichische Ökonom Leopold Kohr (1901-1994) bezeichnete „...die Idee und das Ideal der Kleinheit als einziges Serum gegen die krebsartige Wucherung der Übergröße…“ Rupert Riedl nennt das „Kohrs Gesetz“ und schreibt: „Kohrs Gesetz besagt, dass unsere Lebenswelt nach den kleinen Maßen des Menschen strukturiert werden muss, will sie eine humane Welt werden.“

Doch steht diesem Konzept nicht einfach die jeweilige Zweckmäßigkeit gegenüber?

  • Bestellung und generelle Zulassung des Covid-Impfstoffs: Europäische Union
  • Zulassung des Impfstoffs im einzelnen: Nationalstaat
  • Verteilung des Impfstoffs: Bundesland
  • Durchführung der Impfung: Gemeinde

Wäre eine andere Vorgangsweise sinnvoller gewesen? Hätten die Einzelstaaten bestellen sollen?Hätte das Bundesheer bundesweit/landesweit (wie in Israel) die Impfung organisierten sollen?

Fazit: Das Subsidiaritätsprinzip ist der Aufruf zu genauer Überlegung, was die in der Praxis jeweils zweckmäßigste Zuständigkeit ist. Eine Begründung dieses Grundsatzes aus dem Evangelium ist nicht ersichtlich. Vermutlich verdankt es seine Entstehung vor allem der Angst vor der übermächtigen Staatsgewalt in diktatorischen Regimen.

Das Solidaritätsprinzip bestimmt das wechselseitige Verhältnis von Person und Gesellschaft. So wie der einzelne nicht nur für das Wohlergehen seines Mitmenschen, sondern auch für das Wohl der Gesamtheit an sich verantwortlich ist, so trägt umgekehrt auch die Gesellschaft Verantwortung gegenüber ihren einzelnen Mitgliedern. Diese beidseitige Bindung und Rücksichtnahme entspringt dem urschristlichen Gebot der Nächstenliebe. Es muss nicht extra betont werden, dass dieses Gebot keinen Unterschied nach nationaler oder rassischer Zugehörigkeit kennt.
Ein Ausfluss des Prinzips der Solidarität (Streben nach Zusammenhalt und gemeinsamen Werten) ist das manchmal als viertes Prinzip der katholischen Soziallehre genannte Gemeinwohlprinzip. Es ist heute nicht nur als politische Forderung im Nationalstaat, sondern als weltweite Herausforderung – insbesondere im Hinblick auf Entwicklungs- und Klimapolitik – zu sehen.

Fazit: Der hier verwendeten Formulierung des Solidaritätsprinzips kann ohne Einschränkung zugestimmt werden. Im Gegensatz zu den anderen beiden Prinzipien ist seine Ableitung aus der Lehre Christi offensichtlich. Dass diese gesellschaftliche Grundhaltung auch der praktischen Vernunft entspricht, tut diesem Umstand keinen Abbruch. Im Gegenteil.

Literatur:
Zur Frage des Verhältnisses „Naturrecht vs. Staatliche Gesellschaftsordnung“ siehe:
August M. Knoll: Katholische Kirche und scholastisches Naturrecht“, Wien 1962

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